Páll ist ein zweijähriger Isländerhengst, der keinen leichten Start ins Leben hatte. Er kam mit verkürzten Beugesehnen auf die Welt und konnte deshalb lange nicht aufstehen. Leider wurde er zu spät so aufgefunden, sodass er die Aufnahme der extrem wichtigen Biestmilch (Kolostrum) verpasste. Dadurch war er stets sehr infektanfällig, häufig stark verwurmt und entwickelte sich langsamer als seine gleichaltrigen Herdengenossen. In der Herde wurde er laut Vorbericht oft „gemobbt“ und fraß nur sehr schlecht. Außerdem fiel er dadurch auf, dass er sich oft gar nicht oder nur sehr mühsam vorwärtsbewegte.
Er sollte eine neue Chance bekommen und bekam neue Besitzer, die sich ihm annehmen wollten. Als Ursache für seine Bewegungsstörungen konnte schnell eine Patellaluxation (Kniescheiben-Luxation) ausfindig gemacht werden. Die schlechte Futteraufnahme war auf scharfe Kanten in seinem Gebiss zurückzuführen, weswegen ich dringend eine Zahnbehandlung empfahl. Nach dem Stallwechsel zeigte Páll außerdem Durchfall und schleimigen Nasenausfluss, der aber schnell wieder in Griff gebracht werden konnte.
Durch vier Behandlungen in wöchentlichen Abständen konnte eine deutliche Besserung des Allgemeinzustandes erreicht werden. Páll nahm an Gewicht und Lebensfreude zu. Nachdem er sich anfänglich kaum selbstständig bewegen wollte oder konnte, eroberte er sich von Woche zu Woche einen größeren Bereich des Paddocks, in dem er vorübergehend untergebracht wurde, um ihn päppeln zu können. Seine neuen Pferdekumpels, die ihm tageweise im Paddock und auf dem Auslauf Gesellschaft leisteten, trugen sicherlich auch mit zur Genesung bei.
Therapeutisch setzte ich neben der Akupunktur („einfaches“ Nadeln (Dry Needling) und Elektroakupunktur) auch die Kräutertherapie nach traditionell chinesischer Rezeptur ein. So konnte sowohl der Durchfall als auch das grundlegende Problem, der sogenannte Jing-Mangel (dazu unten mehr) behandelt werden. Schnell fanden wir auch heraus, dass auch das Taping des Knies, etwas erschwert durch den dicken Winterpelz des Isländer-Hengstes, eine riesige Hilfe war.
Da Páll noch sehr jung ist und sich auch noch im Wachstum befindet, bin ich gespannt, was sich bei ihm noch tut. Wir bleiben auf jeden Fall am Ball, um dem kleinen „Tierschutz-Fall“ einen so guten Start in „neues“ Leben mit einer zweiten Chance zu ermöglichen!
Was ist eine Patellaluxation?
Es werden verschiedene Formen der Patella- oder Kniescheibenluxation unterschieden, abhängig davon ob eine permanente, bleibende (stationäre) oder wiederkehrende, nicht dauerhafte (habituelle) Verlagerung der Kniescheibe vorliegt und in welche Richtung die Kniescheibe fixiert wird, ob nach oben (proximal) oder zur Seite (lateral). Die häufigste Form ist die sogenannte habituelle Patellaluxation nach proximal. Die Kniescheibe wird durch übermäßige Kontraktion des Quadrizeps-Muskels hochgezogen und hakt sich über dem sogenannten medialen Rollkamm des Oberschenkels, einem Knochenvorsprung an eben jenem Knochen, fest.
Die Pferde zeigen eine (plötzlich auftretende) Streckstellung im Knie- und Sprunggelenk mit anhaltender Beugung der Zehengelenke. Bei zwangsweiser Bewegung wird das betroffene Hinterbein in gestreckter Stellung nach vorn geführt. Handelt es sich um eine habituelle Kniescheibenfixation, kann die Kniescheibe durch Seitwärts- oder Rückwärtstreten in die Ausgangsposition zurück gebracht werden, wobei ein deutliches Knackgeräusch hörbar ist.
Aus TCM-Sicht sind Entwicklungsstörungen wie die Patellaluxation einem Jing-Mangel-Zustand zuzuordnen. Neben den orthopädischen Problemen können auch andere Zeichen einer Entwicklungsverzögerung auftreten (Zahnwechsel-Probleme, Kryptorchismus (Hodenhochstand), Verhaltensprobleme). Durch eine mangelhafte Milch- und später Futteraufnahme in jungem Alter, wird das Jing nicht aufgefüllt und genährt, sondern das, was einem jungen Wesen bei der Geburt mitgegeben wurde, schon verstärkt entleert.
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